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sebastian wickeroth by Tobias Hoffmann (eng)
sebastian wickeroth by Tobias Hoffmann (deu)
hell feld by Uwe Schramm (deu)
geplante zerstörung by Ralf Witthaus (deu)
 
 
 
 
 
Die für das Kunsthaus Essen konzipierte Ausstellung von temporären Arbeiten der beiden Bildhauer Christian Forsen und Sebastian Wickeroth führt zwei Künstler zusammen, die den Betrachter auf jeweils unterschiedlichen Wegen mit neuen Dimension der Raumerfahrung konfrontieren.
Ein bewußtes sinnliches Erleben des Raumes ist immer auch verbunden mit einer gesteigerten Wahrnehmung des eigenen Selbst, der eigenen Körperlichkeit und ihrer Beziehung zu den Dingen in der unmittelbaren Umgebung. So führt die Begegnung mit diesen künstlerischen Arbeiten über den reinen Raumbezug hinaus zu einer intensiven und bewusst wahrnehmbaren Begegnung des Betrachtes mit sich selbst und den Grundlagen seines individuellen Welterlebens.

Raumerlebnis als kreativer Prozess

Raum ist im ursprünglichen Sinn eine Grundbedingung des menschlichen Lebens, die von ganz bestimmten Wahrnehmungsfaktoren abhängig ist. Jeder menschliche Raumbezug, ob physisch motiviert oder geistig-ideell formuliert, geht zunächst von der Erfahrung des eigenen Körpers aus und wird durch das bewusste Wahrnehmen seiner physischen Präsenz bestätigt. Das Erleben des eigenen Leibes geschieht primär auf der Ebene des Unbewussten. Körperlichkeit an sich entzieht sich jeder Wahrnehmungsrealität. Erst wenn Schmerz oder Einflüsse von aussen auf den Körper einwirken, wird der Leib in seiner räumlichen Existenzhaftigkeit zum manifesten Bestandteil des Bewusstseins. Denn erst dann gelangt der Mensch zu der Erkenntnis, dass sich seine Existenz keineswegs in hermetischer Abgeschiedenheit zu den Dingen definiert, sondern über seinen Leib Teil eines komplexen Raumzusammenhangs ist und mit seiner köperlichen Gestalt in permanentem Austausch zu seiner Umgebung steht. Diese wird ja gerade durch das Maß, die Ausdehnung und räumliche Orientierung des eigenen Körpers strukturiert. Das für die menschliche Existenz unabdingbare Sich-Zurechtfinden im Raum geschieht eben über das motorische Potenzial der Arme, Beine, Füße, des Kopfes und der Hände. Werden diese in ihrer Beweglichkeit eingeschränkt und wird der Raum damit bewusst als Enge oder als eine Art Hindernis erlebt, wird das Eigenvolumen des Körpers zur Empfindungsrealität. Im Zuge dessen wird jede Ausdehnung von Körpern im Raum auf die eigene leibliche Erfahrungen projiziert und als Echo zurückgeworfen, das bestimmte Handlungen, Vorgehensweisen und intelektuelle Konsequenzen provoziert.

Das ideale, tief im menschlichen Bewusstsein verankerte und durch kulturgeschichtliche Errungenschaften weithin fundierte Schema des Wahrnehmungsraumes ist das auf der Euklidischen Geometrie beruhende Raum-Ordnungs-System, das den Raum als ein durch die Geradlinigkeit von Achsenverläufen und ihre Rechtwinkeligkeit zueinander definiertes kubisches Anschauungsgebilde definiert. Trotz weiterführender Modelle und Theorien der Raumerfahrung greift dieses verinnerlichte Schema der Weltanschauung gerade und immer dann, wenn sich in das Feld der Wahrnehmung zuwiderhandelnde Ereignisse und Phänomene drängen. Verzerrungen und Irritationen jedweder Form und Herkunft werden automatisch, ohne lenkende Einwirkung des Verstandes und Aktivierung gegenläufiger Erfahrungsmodule, im Sinne dieses ursprünglichsten aller Raum-Wahrnehmungsmuster korrigiert und durch unbewusst verlaufende Mechanismen der harmonischen Struktur des euklidischen gegliederten Wahrnehmungsraumes angepasst.

So verstanden, beruht die Wahrnehmungsgewissheit des Raumes nicht auf einer statischen, fern jeder Veränderbarkeit sich positionierenden Befindlichkeit von unumstößlichen Daseinsfaktoren, sondern der Raum menschlicher Erfahrungen muss, um als solcher überhaupt bewusst erlebbar zu werden, sich immer wieder neu bilden, sowohl durch körperlich motiviertes Handeln als auch durch Fertigung und Anordnung von Dingen in gegenständlich definierten Zusammenhängen. Der Raum erscheint damit nicht als ein statisches Absolutum, sondern als ein dynamisches, durch menschliche Handlungsweisen potenziell veränderbares Kontinuum.

Die Verführung zu Sehen

Im Vergleich zu Christian Forsens fragil und materiell eher zurückgenommen wirkende Arbeit wird der Betrachter von Sebastian Wickeroths skulpturalem Ensemble mit wesentlich anderen Eindrücken konfrontiert.
Der Ausstellungsraum wird zunächst von einer flach gestreckten, aus fünf gleichmäßig gearbeiten Flächenformen bestehenden Bodenarbeit dominiert, die mit ihren leuchtenden Türkis- und Schwarztönen einen wirksamen Kontrast zur gegenüber platzierten schwarz schimmernden Wandarbeit bildet. Die makellosen, glatt gespannten Oberflächen erinnern auf den ersten Blick an die kühle Eleganz industriell gefertigter Designprodukte, in deren straffer Haut sich die gesamte unmittelbare Umgebung effektvoll spiegelt. Die rechteckigen Flächen sind zur Mitte hin leicht angehoben, womit die gesamte geometrische Konstruktion geradezu luftig und leicht wirkt und trotz aller Bodenhaftung einen fast schwebenden Eindruck hinterlässt. Im Zuge des vollständigen Umschreitens wird der Betrachter einer Vielzahl visueller Reize ausgesetzt. Er selbst und mit ihm der gesamte Raum erscheinen dabei in vielfachen, beinahe grotesken Verzerrungen. Wände, Decke, Licht und Boden werden in die Oberfläche eingesogen und von ihr reflektiert. Sämtliche der vormals geraden Linien der architektonischen Formen erscheinen wie aufgeweicht oder in sich zusammenstürzend und bilden ein eigenwilliges Muster auf der strahlend leuchtenden Oberfläche. Der Raum verliert seine feste Struktur. Das Spiel der Linien folgt einer eigenwilligen Methodik und sämtliche Richtwerte der räumlichen Orientierung befinden sich in dynamischer Veränderung, was zu einem permanenten Abgleich mit den verinnerlichten Konstanten der eigenen räumlichen Orientierung führt. Angesichts dieser prägnanten visuellen Erfahrungen formiert sich das Erleben von Welt immer wieder neu.
Der Bildhauer Sebastian Wickeroth kreiert damit eine erstaunliche Art Malerei jenseits des gewohnten malerischen Vorgehens. Auf farbigen Oberflächen, die durch Aufspannen von Kunststofffolie auf einen Keilrahmen entstanden sind, bildet sich der Raum und sämtliche Dinge in ihm selbständig, ohne weiteres Zutun des Künstlers als ein tanzendes Muster aus Linien und Farben ab.
Ein weiteres Maß an Irritationen erscheint mit Wickeroths bereits erwähnte Wandarbeit. Auf einer weiss gestrichenen Längswand des Ausstellungsraumes wurde mit matter, fast samtiger schwarzer Farbe eine Kreisform aufgebracht, auf die wiederum vier mit schwarz-glänzender Folien bespannte Keilrahmen befestigt wurden. Im Gegensatz zu den auf dem Boden ruhenden Flächenformen sind diese nun geprägt durch offensichtlich bewusst initiierte Verletzungen der regelmäßigen, rechteckigen Grundform. Das als Hochrechteck organisierte Gebilde ist an den jeweils außen liegenden Ecken und Kanten wie nach einer massiv ausgeführten Zerstörungsgeste gequetscht, deformiert, so dass die Folienoberfläche gewellt, zerdrückt, eingedellt ist und Verletzungen zur Schau stellt, die fast körperlich spürbar sind und als irreversible Spuren äußerlicher Gewalteinwirkung unweigerlich auf das eigene körperliche Befinden übertragen werden. Dies geschieht umso eindringlicher, da der Betrachter stets als direkt einezogener Bestandteil der Arbeit, durch sein verzerrtes Spiegelbild seiner Selbst, das ihn bei jedem seiner Gesten und Schritte im Raum verfolgt, in Erscheinung tritt.

Im Hinblick auf ein weiteres in der Ausstellung vertretenes Werk wirkt Wickeroths Wandarbeit wie eine visuelle Brücke, die von einer künstlerischen Vorgehensweise zur nächsten führt. In bewusster Korrespondenz zu seinen Flächenarbeiten steht ein vertikal aufgerichtetes Werk, das eine weitere Facette im Ausdruckspotenzial des Bildhauers offenbart. Mit dieser unterwandert er die Erwartungshaltung des Betrachters und schafft so zunächst ein emotional wie sinnlich konfiguriertes Erlebnisvakuum, das den Grundstein für einen erweiterten Begriff von Bildhauerei und der durch sie geschaffenen Werke und Werte bildet.
Aufgesetzt auf einer silberfarbenen, turmartig in die Höhe weisenden Skelettkonstruktion befinden sich die Überreste einer rotwandigen, vormals offenbar unversehrten Kubusform. Die vermeintliche Zerstörung einer einstmals geschlossenen Form ist jedoch nicht als rohe Geste der Verwüstung oder gar Austilgung der physischen Präsenz eines Körpers zu deuten, sondern als Akt der Destrukturierung bildet sie vielmehr einen festen, durch bewusste Steuerung gelenkten Bestandteil des bildhauerischen Vorgehens. In Gedanken ergänzt der Betrachter die fehlenden, ausgebrochenen und abgerissenen Strukturelemente unweigerlich zur harmonischen Form. Im Zuge der Betrachtung wird der eigentliche Gestaltwerdungsprozess spekulativ durchdacht und vervollständigt.
Angesichts der sinnlichen Ausdrucksqualitäten und ihrer konzeptuellen Bestimmung verführen Sebastian Wickeroths Arbeiten den Betrachter zu einer erweiterten Selbstdefinition.

Uwe Schramm