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sebastian wickeroth by Tobias Hoffmann (eng)
sebastian wickeroth by Tobias Hoffmann (deu)
hell feld by Uwe Schramm (deu)
geplante zerstörung by Ralf Witthaus (deu)
 
 
 
 
 
 
Wenn man Kunst findet - und das gilt für Künstler wie für Betrachter - wenn man auf sie stößt oder sie aufstöbert, wenn man ihr wirklich begegnet, ist man woanders und vielleicht sogar wer anders. Sir Simon Rattle sagte einmal, dass die, die Kunst finden, in ihr verloren sind. Ich glaube, er sagte es mit einem inneren Lächeln.

Kunst ist ein unmittelbares Gespräch. An kaum einem Ort dieser Welt wird dieser Umstand deutlicher, wie auf einer Kunstmesse. Es ist die Konkurrenz der Aufmerksamkeit, die die Bilder erdulden müssen. Sie hängen dicht gedrängt und der Parcours der edlen Ware ist lang. Die Erschöpfung beim Betrachter ist vorprogrammiert. Das Meisterwerk selbst hat sich zu behaupten unter seinesgleichen.

In diesem Tumult trifft es mich wie ein Blitz. In der Messekoje von der Galerie Claudia Delank steht ein Quader. Kaputt. Hingefallen? Er besteht aus Rigips, ist mit einer glänzenden Folie überzogen. Das glänzende Blau gibt dem einfachen Baumaterial eine edle Perfektion. Es unterstreicht den Kontrast zum Zerstörten. Am Boden liegen die Bruchstücke vom Rigips. Es ist wohl hier passiert. Mehr ist nicht zu sehen. Mehr ist auch nicht notwendig. Die relativ einfache bildhauerische Setzung nimmt auf alles Bezug was sie auf der Messe umgibt. Guter Kommentar denke ich.

Die Neugierde hat mich gepackt. Die Galeristin sagt mir, dass der Künstler Sebastian Wickeroth heißt und den Quader nicht etwa hat fallen lassen, sondern ihn genau so angefertigt hat. Der Zerstörungszustand als geplanter, erarbeiteter Status Quo. Ich bin eingeladen zu der nächsten Eröffnung. Eine Gruppenausstellung ein paar Tage später. Wickeroths Arbeit gleich vorne im Eingangsbereich, wieder ortsgenau eingepasst. Acht große Platten wie eine Wandverschalung, Zweifarbig, leicht verschobener Rhythmus. Keine Zerstörung. Ich bin etwas enttäuscht, habe etwas frecheres - kaputtes erwartet. Außerdem bin ich überpünktlich, die Galerie ist noch fast leer. Ich habe wenig Zeit, will aber wissen, was für ein Künstler dahintersteckt. Also bleibe ich. Er kommt nach einer Weile mit einer Gruppe Freunden zur Tür herein. Nette Stimmung, Kunst steht nicht im Vordergrund. Wir kommen ins Gespräch. Will etwas über den künstlerischen Ansatz herausfinden. Er hat ein elegante zurückhaltende Art. Nicht Impulsiv, nicht zerstörerisch, sondern beobachtend, in sich ruhend. Keine platten Antworten. Vorsichtig. Gehe mit noch mehr Fragen nach Hause.

Ein Jahr später. Eine große Installation bei new talents, der jungen biennale in Köln. Eine Landschaft. Wenn da nicht die glänzend rote Oberfläche wäre, sähe es aus, als ob der Rigips von der Decke gekommen ist.

Mit Freunden verabrede ich mich zu einer Ausstellung im Blast, einen Ausstellungsraum der freien Szene in Köln. Wieder sind viele Monate vergangen und ich bin gespannt was Wickeroth dieses mal macht. Am Boden liegt sie. Es sind sechs Leinwandähnliche Flächen, statt Leinwand ein glänzendes Material. Drei Farben, Aufgebockt. Vom Eingangsbereich her flach, zur Rückwand hin steiler werdend. Zwei unterschiedlich steile Rampen. Die Glätte provoziert mich. Die Fußlage läd mich zum besteigen ein. Es erinnert mich an eine römische Liege. Meine Erwartungshaltung holt mich ein. Ich vermisse das Kaputte. Die Konstruktion und die Positionierung läd so sehr zum Betreten ein. Ich stelle mir vor, wie meine Füße das glänzende Material eindrücken. Oder durchbrechen. Die Arbeit erzeugt bei mir eine Kraft wie eine Leinwand von Fontana - nur sie braucht dafür nicht einmal einen Schlitz. Das ist innovativer: Ich muss die Kunst nicht durch Betrachten nacherleben, sondern ich beginne die Arbeit so zu sehen, wie ich sie sich entwickeln könnte! Innere Spannung baut sich auf. Variationen gehen mir durch den Kopf. Ich möchte die Arbeit gerne ... vollenden. Ob das der Trieb der Ikonoklasten - der Bilderstürmer - der Bildzerstörer ist? Nein, das Spezielle bei dieser Arbeit ist - dass ich erlebe, dass ich glaube, dass das im Interesse des Künstlers sein könnte.

Ich komme wieder zu mir. Und finde die Arbeit großartig. Ich frage mich, ob man die Arbeit nicht doch zerstören müßte, um das zu zeigen was sie mit Menschen machen kann. Vielleicht gut dieser Tatsache einen Moment der Öffentlichkeit und eine Geschichte zu geben, die die Arbeit sonst vielleicht nie erfahren wird. Will ich wirklich Schadensersatz, Staatsgewalt und Mediengerummel durch einen solchen Akt heraufbeschwören? Was würde das für den Künstler bedeuten? Was denkt der dann von mir? Und das Kunstwerk? Soll ich es kaufen, und dann zerstören? Als mir diese Form von Gehirnjogging endlich zuviel wird, wühle ich mich durch die Masse im Eingangsbereich zum Künstler.

„Ich würde am liebsten Dein Kunstwerk zerstören!“ Der Satz irritiert. Sebastian Wickeroth weiß nicht woran er ist. „Wie? Warum?“ Ich erkläre genauer was mir am Werk passiert ist und warum. Er sieht meine ehrliche Emotion. Danach: „Ja dann, Mach doch!“ Ich fange an zu überlegen, ob ich umräume und die zerstörte und vollendete Arbeit bei mir ins Wohnzimmer stelle. Dauerausstellung, Leute einladen, vielleicht passt sie gerade so von Wand zu Wand. Monetäres ist noch zu klären. Ich denke darüber nach, was jetzt hier im Raum passiert, wenn ich plötzlich die versammelte Gesellschaft schockiere und die glänzenden Oberflächen des Kunstwerkes zerstöre. Oder würden die nur lachen und weiter Bier trinken? Will ich denn, das in den Medien darüber berichtet wird? Ich will das besondere dieser Kunst offenbaren, aber ist das der Weg? „Nein, es wäre nur richtig gut, wenn ich Dich nicht gefragt hätte!“ Es wäre nur richtig gut, wenn ich nicht soviel gedacht hätte. Ich bleibe noch ein wenig und dann gehe ich.

In der Kunst sind Dinge eingelagert die für Menschen völlig neuer Natur sein können. Ich bin mir sicher, Sebastian Wickeroth hatte nie die Absicht mich als Betrachter in dieser Form herauszufordern. Trotzdem ist dem Gesamtwerk anzusehen, dass jemand Mut hat was zu wagen. Sein Werk teilt sich in Arbeiten bei denen deutlich eine Zerstörung thematisiert wird und Arbeiten bei denen nur eine Verschiebung stattfindet. Mir zeigt diese Konstellation einen ganz neuen Aspekt, was Kunst kann. Selbst in diesen formal einfachen Objekten steckt eine erhebliche Kommunikationsfähigkeit, weil sie am richtigen Ort sehr gut gesetzt sind. Auch weil sie in einer spannenden Abfolge entstehen und von mir erlebt werden. Es ist eine Aufgabe junger Kunst ganz neue Qualitäten zu entwickeln. Qualitäten die mit bekannten Qualitäten nichts zu tun haben. Ist es nicht spannend, dass es ein solches Oeuvre gibt, dass mich zur Zerstörung eines Werkes aufrufen kann?

Ralf Witthaus